und an solchen Tagen wie Heute, wird mir der Unterschied zwischen Planung / Theorie und Ausführung / Praxis, stets bewusst. Nach vier Tagen erreiche ich endlich die Ortschaft Langard, an der Mündung des Wakhan Flusses in den Panj. Ab hier und gegen Osten beginnt das Wakhan Korridor, der beim „Great Game“ zwischen Grossbritannien und das Zarenreich Berühmtheit erlangte und auch das Wakhan Volk bis heute trennt.
Nehme ich ab Langard jedoch die Route gegen Norden, so wie geplant, um den Kargush-Pass bei 4355 Mt zu erreichen, merke ich alsbald, dass bei den ersten 15 Km ganze 750 Höhenmetern zu bewältigen sind, und dass, bei einer steinigen Piste die den Namen Route oder Straße nicht verdient.
Es ist Mittwoch vormittags in Langard. Die 2800 Mt machen sich in der Temperatur bemerkbar. Unter einer milden Sonne keineswegs kalt aber dennoch wesentlich frischer als die Tage zuvor. Ich verlasse die Herberge die ich gestern Nachmittag aufgesucht hatte und begebe mich in den Ortskern. Dieser ist jedoch schwer aufzufinden. Rechts und links der Hauptstraße ein Wirrwarr aus steinigen Gassen, einfache Lehmhäuser und kein Geschäft zu finden, wo ich Vorräte für die kommenden Tage besorgen könnte. Eine Schar von Kindern zwingt mich zum Anhalten und einer davon, fragt nach meinem Namen und hält mir ein Zettel vor Augen. Auf Anhieb erkenne ich gross darauf geschrieben: „Arturo“
Sind die Hellseher, diese Kinder? war mein erster Gedanke, oder wie ist das möglich? Ich nehme den Zettel zu mir und lese dabei eine Botschaft.
„Arturo, ich bin es, Antonio. (Einer von zwei spanischen Fahrradfahrer mit denen ich mich in den letzten Tagen immer wieder mal getroffen habe) Wir haben bei diesen Menschen Mittag gegessen und es scheint, nette Leute zu sein. Der Familienvater bietet auch Transfers an und er könnte dich bis zum Kargush-Pass hinauf fahren. Schöne Grüße und pass auf dich auf.“
Antonio und Pepe wissen über mein Schicksal mit meinem Fahrrad bescheid und Antonio meinte sogar in seiner ironischen Art, ich möge den, in den Müll werfen. Sie schätzen die Lage eventuell besser als ich ein und wussten bereits im Vorfeld dass ich vor allem die anfängliche Steigung kaum schaffen würde. Das ganze stimmt mich nachdenklich und bereitet mir auch etwas Kummer. Ich lasse mir alles durch den Kopf gehen, mehrmals. Erkundige mich beim Familienvater vom Jungen der mir Antonios Botschaft überbrachte, was eine Fahrt den kosten würde. Die vorgeschlagenen 80 Euro sind eine Frechheit und im übrigen, ich will, wenn überhaupt, weder nach Alichur noch nach Murgab, auch nicht bis zum Pass hinauf. Ich studiere die Karte nochmals und stelle fest, dass ich ab Km 20 bereits auf 3600 Meter wäre und somit ca 800 Höhenmeter gewinnen könnte. Zum Pass wären es dann nur noch 700 Mt aber in mehr als 70 km verteilt, was ich für machbar halte. Ich handle einen vernünftigen Preis aus und sage dem Fahrer, ich werde mich bis morgen entscheiden.
Ich setze mich an einem Straßenrand und versuche Abstand zu den Menschen aufzubauen,ausnahmsweise, in dem ich mir eine Zigarette baue und stur in mein Mobiltelefon starre. Da ist wenig zu sehen, habe schon seit zwei Tagen kein Netz mehr und die digitalen Karten kann ich nicht mehr aktualisieren.
Selten bin ich so unschlüssig, nochmals eine Nacht in dieser tristen Ortschaft zu verbringen? Den Aufstieg selber wagen? Ich besuche ein recht bescheidenes Museum und fahre anschließend hin und her. Jeder Dritte bietet mir eine Unterkunft, jeder Fünfte eine Führung zu den Petroglyphen. Ich wünsche nur eines, alleine zu sein und die richtige Entscheidung zu treffen. Eine innere Stimme sagt zu mir, warten. Warten.
Ich fahre die Ortschaft nochmals auf und ab. Endlich erkenne ich einen Laden, mit den handgeschriebenen Wörter, Shop und Magazin auf Kyrillisch. Es ist nicht ein Laden im herkömmlichen Sinne, vielmehr ein alter Bus, ohne Räder und ohne Motor, am Straßenrand, der als Laden dient und sein Zweck erfüllt. Die Auswahl an Proviant kann ich mit einer Hand zählen und so kaufe ich Trockene Chinanudeln, drei Fischkonserven deren Etikett auf Russisch geschrieben sind, sodass ich nicht weiß um was es sich wirklich handelt, drei Liter Wasser, Zündhölzer und Kekse. Brot gibt es im Wakhan nicht zu kaufen da es jeder selber zu Hause bäckt. Ich wäre nun für die kommenden Tagen ausgerüstet. Und nun?
Ich warte abermals, an einem anderen Straßenabschnitt, auf was genau ist mir nicht klar, doch ich warte.
Steige erneut auf mein Fahrrad und radle ein paar hundert Meter der Pappel-Allee entlang und es kommt mir ein Fahrradreisender entgegen. Er ist Olivier aus Burgund in Frankreich. Ja, und wir kannten uns bereits aus längeren Gesprächen im Hostel in Khorugh vor ca. einer Woche. Er möchte auch hinauf, aufs Dach der Welt. Ohne es zu Ahnen aber deswegen ohne eine mindere Bedeutung, wartete ich vermutlich auf Ihn.
Wir Smalltalken ein wenig, tauschen uns aus, und er sieht wie ich die erschwerte Lage des Aufstiegs. Ein eindeutiges „Unmöglich“ geht keinem über die Lippen, mir auch nicht im Gedanken, aber ein realistisches Geständnis, dass es eine Strapaze mit Folgen sein wird, dabei sind wir uns einig.
Jetzt ist mir die Zeit der Entscheidung gekommen. Ich schlage Olivier vor, uns den Taxi zu teilen, und zwar nur bis 3600 Mt, also eine Fahrt von ca. 20 km. Bis zu einem Platz auf einer Terrasse der auf meiner Offline Karte am iPhone als Biwak gekennzeichnet ist. Kurzum, es ist 2 Uhr Nachmittags und nun in Begleitung von Olivier fahren wir zu dieser Familie. Eine halbe Stunde später sitzen wir im Taxi, und mit dem voll gepackten Allradfahrzeug arbeiten wir uns im ersten Gang die steilen Kehren hinauf.
Nun sprechen wir beide es aus. Diese Steigung hätte ich nicht einmal schiebend geschafft, auch wenn andere Radler, wie Antonio und Pepe es getan haben.
Ich blicke noch mehrmals zurück und das Wakhan Tal wirkt mit zunehmender Höhe imposanter, aber auch das Panorama was sich vor mir offenbart. Mein staunen und die Superlative Adjektive nehmen kein Ende. Nach genau einer knappen Stunde erreichen wir Km 22 und das besagte Biwak. Wir schlagen unsere Zelte auf, kochen gemeinsam und genießen noch den Sonnenuntergang mit ein frisches Helles sitzend an einem Kliff. Zweihundert meter weiter unten rauscht und tobt der Pamir Fluss, der Fluss den ich die kommenden 2 Tagen bis zum Militär Check-Point Kargush folgen möchte, Stromaufwärts, und wo ich mich dann von Ihm, von Olivier und von der Afganischen Grenze verabschieden werde.
0
Bitte hinterlasse eine Antwort