Jedes Mal, wenn ein Fremder den Pfad entlang des Panji-Flusses geht, und sich einer der Festungen die über dem Wakhan-Tal wachen, nähert, eilt ihm ein Schwarzer Ritter entgegen. Im Galopp. Seine Kluft ist komplett Schwarz, aus edelstem Stoff. Sein Turban ebenso. Nur die grünen und blauen Augen, und die helle Haut um die Augenpartie kommen zum Vorschein. Es lässt sich daraus schließen, dass es sich um einen Arier handelt. Sein Dolch glänzt im grellen Licht der Mittagssonne und die Rubine, die hier im Gestein reichlich vorkommen, glitzern im Griff. Oft geht es um die Eintreibung einer Maut, aber dieses Mal geht es eher um den Empfang einer Botschaft. Sehnsüchtig wartete bereits der Herrscher danach. Es ist die Burg Qahqa-Kala, eine von vielen Festungen und Wehranlagen entlang des Tales.
Wir schreiben das Jahr 300 vor Christus. Das Zoroastrisches Zeitalter, lange bevor die Region vom Budhismus, vom Sufismus und letztlich vom Ismaelitentum geprägt wurde.
Wer ein Land oder ein Flecken Erde bereisen möchte, ohne einen Einblick in seine Geschichte zu werfen, ist wie einer der dieses Brüste einer Frau begehrt ohne ihr dabei in die Augen zu schauen.
Aus diesem Pfad von einst, entlang des Flusses im Wakhan-Tal, vormals der Budha-Weg, ist Heute eine Land- oder Bundesstraße geworden. Allerdings so verkommen, dass die Urgewalt der Natur sie bald wieder einnehmen wird. Eine Asphaltdecke kann man höchstens an 10% der Strecke erahnen. Holpernd und mit höchster Anstrengung und Konzentration radle ich vier lange Tage den Tal hinauf. Obwohl nur 120 Km, Ishkoshim von Langar trennen, kann ich die 40 Tageskilometer einfach nicht überschreiten.
Schiebend, tretend, ziehend, und ich Verfluche immer noch den Fahrradmechaniker aus Rietz.
Am zweiten Tag verlasse ich um 8 Uhr morgens das „Homestay“ von Darshai, wo ich in einem typischen „Pamirhaus“ übernachtet habe. Wie im ganzen Tal, bekommt man eine Unterkunft inklusive Frühstück und Abendessen für zirka 15 USD. Die Qualität ist recht unterschiedlich, aber wenn ich ein Homestay mit Dusche und fließenden (warmen) Wasser, und eine Kloschüssel vorfinde, dann weiss ich, dass dieser schon der gehobenen Klasse angehört.
Apropos: Homestay oder Zelten?
Tajikistan und vor Allem Badakhshan, ist eine Bitterarme Region. Zwar leidet vermutlich niemand an Hunger, da die Pamiri meistens Selbstversorger sind, doch die Einnahmen aus dem (bescheidenen) Tourismus ist eine immense Hilfe und schafft nebenbei auch Hoffnung und motiviert zur Weiterentwicklung dieser Branche. Da glaube ich als emphatischer Europäer, bleibt mir wohl kaum eine andere Wahl, jedes Angebot einer Herberge zu nutzen. Gezeltet wird lediglich dort, wo mir nichts anderes übrig bleibt.
Wie gesagt, ich radle Richtung Osten, und als ich nach wenigen Kilometern die Burg Qahqa-Kala passiere, rennt mir jemand entgegen. Er ist kein Ritter und höchstens 10 Jahre Alt. Seine blaugrünen Augen zieren ein ungewaschenes Gesicht, gegerbt von der Witterung auf fast 3000 Meter über Meeresspiegel. Seine Händchen und Füsse sind geschwärzt, seine Kleidung stark verstaubt und verschmutzt. Ich kann darunter noch ein Adidas Logo erkennen, und den Wappen vom FC Barcelona. Und anders als der schwarze Ritter von einst, will dieser kleine Junge keine Maut erheben, vielleicht auch keine Botschaft empfangen. Er will nur „Hello“ sagen und „give me five“ klatschen. Als ich bereits vorbeigefahren bin, viel ihm erst der englische Satz ein, „What’s your name?“ den er mir noch laut hinterher ruft. Ich schreie in den Wind: „Artur!, Artur Bey!“
Solche kleine Ritter werde ich noch die ganzen Tage begegnen, bis ich dann das Wakhan Tal in Langar verlasse, um mich den Viertausendern empor zu arbeiten, dort wo die Route einsam und verlassen wird, dort wo, wie Marco Polo (fälschlicherweise) beschrieb, die Vögel nicht mehr horsten, dort wo kein Baum mehr etwas Schatten spendet, dort wo das Feuer schwach brennt, dort oben wo der Zauber des wahren Pamirs inne lebt.
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